Die Suche nach Tickets für ein Konzert in der Elphi bot mir die Gelegenheit, im anwaltlichen Selbstversuch Erfahrungen mit der Ticketbörse Viagogo zu sammeln.
Der Plan
Geplant war als Geburtstagsüberraschung ein Konzertbesuch zu zweit. Nils Petter Molvaer am 17.04.2020 in Hamburg. Bei der offiziellen überregionalen Vorverkaufsstelle gab es online sogar zwei freie Plätze. Der Haken: Der eine Platz befand sich am einen Ende, der weitere am anderen, entgegengesetzen Ende des Großen Saals.
Also: Weitersuchen. Ein lokales Hamburger Unternehmen bot Karten an. Sogar zwei Plätze nebeneinander. Ich bestellte. Am darauf folgenden Tag kam die Absage, die Veranstaltung sei leider ausverkauft.
Der Weg zur Ticketbörse
Wieder weitersuchen. An prominenter Stelle bei Google ploppte die Anzeige von Viagogo auf. Karten für das Konzert seien dort verfügbar. Das war mein Anlass für die Probe aufs Exempel.
Anwaltlicher Selbstversuch I – Erfahrungen beim Bestellprozess
Zu Beginn der freundliche Hinweis „Weniger als 2% aller Tickets für diesen Veranstaltungsort derzeit verfügbar auf unserer Website.“ Aha! Es war also Schnelligkeit gefragt. Ich startete den Bestellvorgang. 2 Tickets Block 15 O Reihe 2. Je 78 €. Niedrigste Kategorie. Bei den offiziellen Vorverkaufsstellen für unter 40 € je Ticket zu haben. Aber gut, von irgend etwas soll der Anbieter schließlich leben. Und wenn man mal wieder spät dran ist mit dem Geburtstagsgeschenk, muss man halt wieder tiefer in die Tasche greifen als andere.
- Ein Ticker, der ab 10:00 Minuten rückwärts zählt, so viel Zeit habe man, um die Bestellung abzuschließen. In roter Farbe: „Bitte beachten Sie, dass diese Tickets möglicherweise nicht mehr verfügbar sein werden, nachdem Sie sie freigeben.“
- „Die Sitzplätze legen nebeneinander.“
- „Uneingeschränkte Sicht.“
- „Papiertickets (behalten als Souvenir!)“
- „Gute Wahl, die von Ihnen ausgewählten Tickets sind die besten verfügbaren Tickets in dem entsprehenden Block.“
- „Elbphilharmonie Großer Saal“
- „Einer der besten Veranstaltungsorte dieser Stadt“
- „Tolle Sicht von allen Sitzplätzen aus“
- „Großartige Atmosphäre“
- „Bequeme Sitze“
- „Spitzenmäßige Einrichtungen“
- „Ausgezeichnete Verkehrsanbindung“
- „Top-bewertete Restaurants in der Nähe“
- „Ein großartiger Veranstaltungsort mit tollen Sitzplätzen für Personen, die zu zweit an der Veranstaltung teilnehmen.“
Bei „20% abgeschlossen“ war noch von 78 € je Ticket die Rede. Bis zur Bestätigung der Bestellung kamen noch dazu: 2x Liefergebühr à 6 € und MwSt und Buchungsgebühr von 2x 27 €. Insgesamt lag der Preis bei stolzen 223,59 €. Die oben aufgeführten weiteren Informationen waren verkaufspsychologisch betrachtet gut platziert und beseitigten restlos den durch den Beschaffungsdruck ohnehin schon stark ramponierten Bestellwiderstand des Protagonisten: Egal. Haben! Augen zu und durch. Zahlung mit VISA. Wenn die Tickets nicht kommen, kann man notfalls das Dispute-Verfahren anwerfen.
Die Bestellbestätigung von Viagogo
Positive Erfahrungen im Selbstversuch mit der Ticketbörse Viagogo? Ja – vorerst und mit sofortigem Dämpfer:
„Glückwunsch! Sie sind auf dem Weg, Nils Petter Molvaer in Elbphilharmonie Großer Saal zu sehen!„. Man hätte auch sagen können: Gotcha! „Bestellung bestätigt.“ Dann aber: „Derzeit bearbeitet – Ticketfreigabe durch Veranstalter ausstehend“ – „Da wird [Anm.: gemeint wohl wir] keinen Einfuss [Anm.: gemeint wohl Einfluss] darauf haben, wann der Veranstalter die Tickets freigibt, können wir die Lieferung auch nicht beschleunigen. Denken Sie daran, dass Ihre Tickets unter der viagogo Garantie stehen.“
Exkurs: Die Viagogo-Garantie aus Zif. 1.3 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB):
„Wenn Sie Tickets über die Website kaufen, garantiert viagogo Ihnen, dass Sie Tickets, für die Sie gezahlt haben, rechtzeitig vor der Veranstaltung erhalten. In dem höchst unwahrscheinlichen Fall, dass Probleme auftreten und der ursprüngliche Verkäufer die Karten, die zum Kauf angeboten wurden, nicht an Sie liefert, wird viagogo, nach eigenem Ermessen, vergleichbar bepreiste Tickets prüfen und Ihnen ohne Mehrkosten Ersatztickets anbieten oder Ihnen den Betrag für die Tickets zurückerstatten. „Vergleichbar bepreiste“ Ersatztickets bestimmt viagogo ausschließlich nach eigenem Ermessen.“
Interessant ist die Bestimmung „nach eigenem Ermessen“?: Ersatztickets für Nils Petter Molvaer in Wien am 09.06.2020 oder in Dortmund am 13.06.2020? Keine schönen Optionen, wenn man Hotel und Bahn schon für das Reiseziel Hamburg gebucht hat.
„Lieferung – spätestens am 11 April 2020.“ Das hätte gepasst, dann aber:
„Auf dem Weg – spätestens am 16 April 2020.“
Man reibt sich verwundert die Augen. Geliefert wird spätestens am 11.04. Aber auf den Weg gebracht werden können die Tickets auch noch nach dem Tag der Lieferung? Außerdem: Auf dem Weg von wo aus? Der Schweiz (Sitz von Viagogo)? Deutschland? Das hätte nicht mehr gepasst. Das Konzert sollte am 17.04.2020 stattfinden, die Anreise war am Vortag geplant. Immerhin, Problembewusstsein ist bei Viagogo vorhanden, wenn es weiter heißt:
„Reisen Sie zur Veranstaltung an? Fügen Sie Ihren Reiseplan hinzu! [Anm.: Was geht der Viagogo an?]. Sollten Ihre Tickets vor Ihrem Abreisedatum freigegeben werden, liefern wir sie an Ihre ursprünglich angegebene Adresse. Sollten Ihre Tickets nach Ihrem Abreisedatum freigegeben werden, liefern wir sie an Ihre Reiseadresse.“ Das wäre eine schöne Anreise gewesen zu einem Konzert, bei dem der rechtzeitige Erhalt der Tickets zur Zitterpartie wird. Dagegen hilft auch die Viagogo Garantie nicht.
The Day After – Die Ticketbörse schreibt mir gleich 2x
Viagogo per Mail #1 – Betreff: „viagogo – Ihre Bestell nr.24212352 wurde storniert“
Die Mail am nächsten Tag hatte den folgenden Inhalt:
„Liebe/r Dominique,
Leider mussten wir Ihre Ticket-Bestellung für Nils Petter Molvær abbrechen. Das bedeutet, dass Sie keine Tickets für die Buchung 24212352 erwarten können und wir Ihr Konto nicht belastet haben. Bitte ignorieren Sie bisherige Telefon oder E-Mail-Kommunikation in Bezug auf diesen Auftrag.“
Interessant, in Zif. 2.12 der AGB, heißt es zur Stornierung: „Sollte eine Veranstaltung gecancelt oder verschoben werden, so behält sich viagogo das Recht vor die Transaktion eines Verkäufers zu stornieren.“ Keiner dieser Fälle ist per heute eingetreten. Aber für Viagogo gibt es unter derselben Zif. eine weitere „Ausstiegstaste“: „Sollte der Verkäufer Tickets zum Kauf anbieten, den Verkauf bestätigen (bzw. eine automatische Bestätigung gemäß Paragraf 2.10 vorliegen) und dann nicht in der Lage sein, exakt die Tickets zu liefern, die zum Kauf angeboten wurden, behält sich viagogo das Recht vor, den Verkauf zu annullieren, Ersatzkarten für den Käufer zu beschaffen und dem Verkäufer die Kosten für diese Ersatzkarten sowie weitere Gebühren in Rechnung zu stellen und/oder anderweitige Konsequenzen zu vollziehen (siehe auch Kapitel 5).“
Die Ticketbörse per Mail #2 – ein Wimpernschlag später – Betreff (kein Scherz!): „Nicht verpassen – Kaufen Sie Ihre Tickets für Nils Petter Molvær noch einmal!“
Schon das Betreff: Interessant! Meine stornierten Ticktes noch einmal kaufen. Da war er wieder, der Bestellwiderstand des Protagonisten. Jetzt aber unüberwindbar. Der Inhalt der Mail:
„Liebe/r Dominique,
Es tut uns leid, aber wir haben festgestellt, dass Ihre Bestellung für Nils Petter Molvær leider nicht erfolgreich war. Lassen Sie sich diese Tickets nicht entgehen, solange noch welche da sind! Wenn Sie sie noch einmal kaufen möchten, klicken Sie bitte hier…“
Positive Erfahrungen im Selbstversuch mit der Ticketbörse Viagogo? Aus dem „ja – vorerst!“ wird ein „Nein! Aber vielleicht …“
Anwaltlicher Selbstversuch II – Der zweite Bestellvorgang
Der freundlichen Einladung „klicken Sie bitte hier …“ konnte ich so nicht folgen. Ich kopierte die Link-Adresse, startete meinen Tor-Browser und was ich dann sah, verschlug mir die Sprache:
Bestellprozess nach Ticketauswahl in der Aufmachung wie gehabt, „20% abgeschlossen“, Countdown usw., 2 Tickets für Block 15 O Reihe 2 (gleicher Block, gleiche Reihe), die Karten sollten jetzt aber anstelle von 78 € jeweils 106 € kosten. Mit Versand, Mehrwertsteuer und Buchungsgebühr hätte man sich 300 € genähert. Ich habe es dann bei den 20% des Bestellfortschritts belassen und die Bestellung in die „Freigabe“ rennen lassen (der Countdown, Sie erinnern sich?).
Positive Erfahrungen im Selbstversuch mit der Ticketbörse Viagogo? Ein klares „Nein!“.
Happy End ohne Ticketbörse
Mail #1 und Mail #2 nahm ich früh morgens vor dem Frühstück zur Kenntnis. Ohne große Hoffnungen surfte ich nochmals bei der offiziellen Vorverkaufsstelle vorbei. Auf der Konzertseite war der „+“-Button zur Erhöhung der Ticketanzahl in der ersten Kategorie immer inaktiv gewesen, weil es eben nur eine einzige Karte gab. Ich traute meinen Augen nicht. Der Button war jetzt an diesem Mittwochvormittag aktiviert. Wieder Karten verfügbar. Früher Vogel fängt den Wurm: Ich bestellte sofort, die Karten erreichten mich zwischenzeitlich pünktlich mit der Post. Über 100 € gespart und Karten der besten Kategorie anstelle der schlechtesten.
Mein Fazit nach den Erfahrungen mit Viagogo im Selbstversuch
No risk – no fun. Das kann man mögen, muss es aber nicht. Es ist nochmal gut gegangen. Wird eine Anwaltsakte daraus, sollte man sich als Rechtsuchender auf einen Kampf ums Recht einstellen. AGB, Auslandsbezug und potentiell mehrere Anspruchsgegner eröffnen dafür eine schöne Arena.
Ich habe ein kleines pdf-Dossier über meinen Ausflug nach Genf zusammengestellt. Schwärzungen an der einen oder anderen Stelle mag man mir nachsehen.
P.S. (29.05.2020): Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Corona hat zugeschlagen, das Konzert ist verlegt …
Update 07.09.2020: Man hat jetzt pandemiebedingt zwei Konzerte daraus gemacht. Mit fairen Konditionen einschließlich eines Vorkaufsrechts für eine der beiden „neuen“ Konzerte, bevor der Vorverkauf an die Öffentlichkeit geht. Ich werde aus diesem Anlass auch einmal den Flixtrain nach Hamburg ausprobieren …